Electronic Beat Studio: An diesem Berliner Ort wurde internationale Musikgeschichte geschrieben

Am 04.12.2020 bekommt das Berliner Electronic Beat Studio eine Gedenktafel, gestiftet vom oscarprämierten Filmkomponisten Hans Zimmer. Bands wie Tangerine Dream, Agitation Free und Ash Ra Tempel begannen hier ihre internationalen Musikkarrieren.

Die Weltstadt Berlin ist bekannt für seine besondere elektronische Musikszene, die zahlreiche Menschen aus aller Welt anzieht. Berliner Legenden des Minimalismus – die Wegbereiter des Techno – begannen ihre Karrieren alle an diesem Ort: dem Electronic Beat Studio in West-Berlin.

Hans Zimmer stiftet Ehrentafel für das Electronic Beat Studio

(C) MG.ART 2020

Eine beeindruckende Stimmung liegt in der Luft. Einige Menschen haben sich auf dem Vorplatz der Nelson-Mandela-Schule in Berlin-Wilmersdorf versammelt und schauen gemeinsam die Grußbotschaft des oscarprämierten Filmkomponisten Hans Zimmer (bekannt durch seine Filmmusiken für Inception, Interstellar, Der König der Löwen). Vor 52 Jahren wurde das Electronic Beat Studio in den ehemaligen Kellerräumen der heutigen Schule vom Leiter des Berliner Barock-Orchesters Konrad Latte gegründet und vom Schweizer Komponisten Thomas Kessler aufgebaut und geleitet.

Bands wie Tangerine Dream, Agitation Free und Ash Ra Tempel probten hier in den Anfängen ihrer internationalen Musikkarieren. Später produzierten auch Bands wie Nina Hagen, Ideal, Neonbabies oder auch Rammstein hier ihre ersten Alben.

Grußbotschaft von Thomas Kessler, ehemaliger Leiter des Electronic Beat Studios

„Damals waren wir eine Gruppe von Freunden, die alle nach etwas Neuem suchten. Dieses Neue sollte nicht so klingen, wie der kommerzielle Mainstream von erfolgreichen Popsongs. Nein, diese experimentellen Klänge und Töne, die haben uns viel mehr interessiert. Und was aus diesen Tönen und Musikern wie Christoph Franke, Klaus Schulze, Manuel Göttsching, Edgar Froese und vielen anderen Namen, die leider auf der Gedenktafel keinen Platz mehr gefunden haben, geworden ist, ist großartig. Man spricht ja sogar von einer Berliner Schule, obwohl mir das Wort Schule eigentlich nicht gefällt. Wir hatten ja noch nicht mal ein Klassenzimmer und meine Freunde waren keine Schüler und ich kein Lehrer. Dass es heute dennoch so eine Bedeutung bekommen hat, freut mich natürlich besonders.“

Thomas Kessler

Die Berliner Schule: Aufbruch in eine neue Musikepoche

Es sind experimentelle Klänge, sphärische Flächen, hypnotische Rhythmen, dessen Klänge im Electronic Beat Studio entstanden und die Zuhörer*innen musikalisch in eine neue Welt mitnehmen. Synthesizer, Gitarrenklänge und andere Instrumente werden häufig improvisiert eingespielt.

Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich diese Stilrichtung der sog. „Berliner Schule“ in Deutschland, mit seinem Entstehungsort im West-Berliner Electronic Beat Studio. Edgar Froese wird auch häufig als „Vater der Berliner Schule“ betitelt, da mit seiner 1967 gegründete Band Tangerine Dream alles begann. In der anfänglichen Phase gehörte seine Musik zum Genre des Krautrocks, später dann zum Musikgenre New Age, wo Tangerine Dream u.a. eine Grammy-Nominierung erhielt. Bald gelang Tangerine Dream der Durchbruch auch in Hollywood mit Soundtracks für William Friedkin, Michael Mann oder Ridley Scott.

Auch Musiker wie Hartmut Enke und Manuel Göttsching, die im Sommer 1970 die Band Ash Ra Tempel gründeten, probten hier ihre ersten Songs. https://www.ashra.com/

Manuel Göttsching im Interview

Inzwischen ist Manuel Göttsching weltbekannt. Sein berühmtestes Werk ist die E2-E4, welches in der Entwicklung der House- und Technomusik eine fundamentale Rolle spielt. Göttsching gab zahlreiche Konzerte u.a. im New Yorker Lincoln Center, dem Londoner Barbican Center, auf dem Mount Fuji Festival in Japan, der Hamburger Elbphilharmonie sowie dem Berliner Berghain. Im Lauf der Jahre umgab sich Göttsching mit innovativen und kreativen Personen, von Musiker*innen bis hin zu Maler*innen und Filmemacher*innen, von Timothy Leary bis hin zu Modedesignern wie Wolfgang JOOP!

Ich habe mich an einem Nachmittag mit Manuel Göttsching in seinem Studio getroffen, um über die Anfänge der Berliner Schule ab den 1970er Jahren zu erfahren.

(C) MG.ART 2020

Wie hast du das Electronic Beat Studio in Erinnerung?

Manuel Göttsching: Das Electronic Beat Studio – damals bekannt als Beat Studio – war ein Treffpunkt für viele Musiker. Es war ein Experimentierstudio und wir trafen uns dort regelmäßig, um an unserer Musik zu arbeiten. Es gab einen kleinen Raum, das war sozusagen der Aufnahmeraum und dann gab es einen zweiten, sehr großen Raum, der als Proberaum genutzt wurde. Das war ein absolut luxuriöses Probestudio. Damals war es noch nicht üblich, dass Musiker ihre Home Studios hatten, da die Technik noch nicht so weit entwickelt war. Ich habe mir erst in den 70er Jahren mein eigenes Studio aufgebaut. Zu dieser Zeit interessierte mich dann die Minimal Musik sowie elektronische Instrumente.

Wie kam es zu der Gründung dieses Studios?

Göttsching: Es führt zurück zum Leiter der Musikschule Wilmersdorf, Konrad Latte, der eine ganz besondere Person war. Er leitete u.a. ein Barock- Orchester nach dem 2. Weltkrieg. Konrad Latte war mit der Mutter von Christoph Franke (Agitation Free) befreundet. Christoph hatte zusammen mit Lutz Ulrich im Alter von 14 Jahren eine Band gegründet und sie wollten einen Übungsraum haben, woraufhin seine Mutter Konrad Latte überzeugte, ein Studio für Teenager einzurichten. Ich kannte die Jungs von Agitation Free und stieß so ebenfalls auf das Beat Studio. Als Leiter wurde Thomas Kessler eingesetzt, der bis heute ein sehr interessanter Komponist aus der Schweiz ist. Schon damals experimentierte er sehr viel mit Technik wie Tonbandschleifen.

Manuel Göttsching an seinem Equipment
(C) MG.ART 2020

Was hat euch in der Anfangszeit inspiriert und kannst du uns in diesem Zusammenhang über die Entstehung und Entwicklung von Ash Ra Tempel erzählen?

Göttsching: Wir haben immer versucht neue Wege zu finden wie wir selber Musik komponieren können. Wir haben begonnen Stücke nachzuspielen und das war uns natürlich schnell zu langweilig. Wir haben uns überlegt, wie man die Stücke etwas umbauen kann, um sie anders klingen zu lassen. Und daraus entwickelte sich dann so eine Technik, eigene Stücke zu konstruieren. Das ging dann so weit, dass wir bis zu dem Punkt kamen, völlig frei zuspielen. Damals begann es mit dem Free Jazz. Ich weiß noch, als Hartmut Enke in England gebrauchte Verstärker und Lautsprecher von Pink Floyd besorgt hatte. Der Transport von England nach West-Berlin war sehr abenteuerlich. Im Sommer 1970 haben wir mit Klaus Schulze, ehemaliges Bandmitglied von Tangerine Dream, dann Ash Ra Tempel gegründet. Wir haben sofort begonnen, Konzerte zu spielen, 2-3 mal die Woche. Innerhalb eines halben Jahres kannte uns jeder hier in Berlin. Ziemlich schnell kamen wir dann auch zu einem Label, die bereits die erste Tangerine Dream Platte produziert hatten. Wir stießen auf Interesse und dann wurde ziemlich schnell unsere erste Ash Ra Tempel Platte veröffentlicht, die nächsten Platten folgten in einem zeitlich geringem Abstand.

Ash Ra Tempel Plattensammlung und Wachsfigur von Manuel Göttsching in einem Museum in Tokio
(C) MG.ART 2020

Was sind rückblickend deine aufregendsten Momente in Hinblick auf deine musikalische Laufbahn?

Göttsching: Da gibt es schon eine ganze Menge. Am eindrucksvollsten sind aber immer die Konzerte für mich. Besonders schöne Konzerte habe ich damals in Frankreich gemacht, aber auch im New Yorker Lincoln Center oder auf den japanischen Festivals.

Der Sommer im französischen Arles war für mich auch ein ganz besonderer. Ich durfte zusammen mit der deutschen Band „Can“ in einem ganz tollen Amphitheater spielen und nach dem Konzert übernachteten wir alle in einem schönen, kleinem Hotel in Arles. Es war alles sehr familiär und es war eine tolle Atmosphäre.

Oder mein erstes Solokonzert im Pariser Bataclan. Ich erinnere mich an den stundenlangen Applaus. Ich war total perplex. Ich saß in der Garderobe und die Menschen hörten nicht auf zu klatschen. Ich dachte nur: Das gibts doch nicht! (lacht) Das werd‘ ich auch nicht vergessen.

Dommune Benefizkonzert Tokio
(C) MG.ART 2020

Göttsching: Abschließend ist mir noch etwas sehr wichtig mitzuteilen:

Es ist einfach schade, dass sich viele aus den jüngeren Generationen gar nicht mit Musik aus den 70er Jahren beschäftigen, die ist ihnen überhaupt nicht bekannt. Sie nehmen erst Musik aus den 80er Jahren so richtig wahr. Doch, dass 10 – 20 Jahre vorher auch schon eine ganz spannende und interessante Szene stattfand, ist vielen nicht bewusst. In dieser Zeit entstanden viele Kompositionen, die die elektronische Musikgeschichte sehr geprägt haben. Es ist toll, dass die Gedenktafel vor der Nelson-Mandela-Schule nun daran erinnert.

Göttsching vor der Gedenktafel des Electronic Beat Studios
(C) MG.ART 2020

Text: Jil Lea Wende / Titelbild (C) MG.ART 2020

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