„Berlin 2030 Klimaneutral“ – Was soll das eigentlich?!

Am 26.03.2023 ist es soweit: Die Berliner:innen entscheiden, ob ihre Stadt bereits 2030 klimaneutral werden soll. Was das bringt, wer sich dafür oder dagegen einsetzt und welche Argumente ins Feld geführt werden, lest ihr hier.

Sie hängen überall in Berlin und sind kaum zu übersehen – grüne Plakate, die für den Volksentscheid „Berlin 2030 Klimaneutral“ der Initiative Klimaneustart Berlin werben. Wie unschwer am Namen erkennbar, es geht um´s Klima – Berlin soll bis 2030 klimaneutral sein. Was das konkret heißt erklären wir weiter unten im Artikel.

Die Initiative und zahlreiche Partner aus Zivilgesellschaft & Wirtschaft kämpfen für ein Gelingen des Volksentscheids. Neben Klimaneustart Berlin, engagieren sich auch andere NGOs, wie Fridays for Future. Offener Widerspruch kommt vor allem von den konservativen Parteien. Auch der alte, rot-grün-rote Senat wollte sich nicht festnageln lassen. Um die Berliner:innen zu motivieren gibt es seit Ende Februar die Plakat-Kampagne. Darüber hinaus mobilisiert die Initiative vor Ort in Berliner Kiezen und demonstriert am 25.03. vor dem Brandenburger Tor. Wir waren bei der Pressekonferenz zum Wahlkampfauftakt - mit Handy, Mikro und vielen Fragen im Gepäck.

Pressekonferenz Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral
Die Panelgäste (von links nach rechts): Rabea Koß (Klimaneustart Berlin), Arnold Drever (Institut für energetische Gebäudesanierung), Michaela Zimmermann (Klimaneutart Berlin), Ranghild Sörensen (Changing Cities) & Lu Yen Roloff (Ansvar 2030)

Zum Diskurs und Austausch versammelt - Die Pressekonferenz im NGO-Hub

Die Pressekonferenz fand am Morgen des 21. Februar 2023 statt. Es ist sonnig, aber zu warm für den Wintermonat Februar. Was sich auf der Haut angenehm anfühlt, ruft im Angesicht der Erderhitzung gemischte Gefühle hervor. Die Pressekonferenz startet pünktlich um 10 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Hauptquartier vieler kleiner und mittelgroßer NGOs direkt am Volkspark-Friedrichshain.

Ungefähr 20 Journalist:innen sind in einem Saal versammelt, der trotz der Erdgeschosslage viel Tageslicht erhält. Vor dem Publikum ist das Panel aufgebaut. Dort sitzen Vertreter:innen der Initiative Klimaneustart Berlin, die den Volksentscheid initiiert hat. Mit dabei sind Expert:innen zu den Themen Energiewirtschaft, Stadtplanung, Verkehr und Gebäudedämmung. Einige von ihnen schalten sich per Videokonferenz dazu. Diese Besetzung fasst den Ansatz der Initiative gut zusammen: Gemeinsam nach Lösungen suchen und aufzeigen, was alles möglich ist.

Die Lösungen sind im Angesicht der hohen Kosten für die grüne Transformation erklärungsbedürftig. Außerdem ist Berlin zwar die größte Stadt Deutschlands, aber im internationalen Vergleich eher klein. Was bringt es also, lokal vorzupreschen? Und können wir Klimaneutralität einfach per Volksentscheid beschließen?

Ziele und Grenzen von „Berlin 2030 klimaneutral“

Natürlich kann das nicht einfach beschlossen werden. Es wäre schön, wenn wir die Klimakrise per Gesetzt beenden könnten. Was der Volkentscheid erreichen will, ist eine Änderung der Zielvorgaben im Energiewendegesetz. Es soll also eine Gesetzesänderung beschlossen werden, die Klimaneutralität bis 2030 festlegt. Aber was, wenn sich trotzdem nichts tut? Dazu sagt Pressesprecher Stefan Zimmer: „Gesetze müssen von der Politik umgesetzt werden. Wenn nicht, müssen wir vor Gericht gehen und natürlich auch aus der Zivilgesellschaft weiter Druck machen, dass dieses Gesetz dann auch umgesetzt wird.“

Infobox: Klimaneutralität

Klimaneutralität bedeutet, dass alle ausgestoßenen Treibhausgase wieder gebunden (also aus der Atmosphäre gezogen) werden. Diese Aufnahme von CO2 geschieht auf natürliche Art und Weise in Kohlenstoffsenken wie Mooren oder Wäldern. Allerdings ist es für Klimaneutralität auch sinnvoll und wichtig, die Menge an CO2-Ausstößen generell zu reduzieren. (Quelle: europarl.europa.eu)

Hier zeigt sich auch ein Unterschied zur Volksabstimmung Deutsche Wohnen & Co enteignen. Dieser verpflichtete den Senat ist lediglich dazu, sich „ernsthaft mit dem Thema Enteignung zu beschäftigen. Wenn Klimaneutralität bis 2030 aber im Gesetzt verankert ist, kann sie eingeklagt werden.

Infobox: Volksbegehren & Volksentscheid in Berlin

Das Volksbegehren ist die Voraussetzung für ein Volksentscheid. Generell geht es um die Möglichkeit einer Wahl des Volkes zu einem von Bürger:innen ausgearbeiteten Gesetzentwurf. Für den Antrag auf ein Volksbegehren müssen 20.000 Unterschriften gesammelt werden. In der zweiten Phase werden dann innerhalb einer viermonatigen Frist nochmal mindestens 171.000 Unterschriften benötigt. Dann folgt die Wahl- der Volksentscheid-, bei welcher eine Mehrheit erreicht werden muss, und zwar mit den Stimmen von mindestens 25 % der Wahlberechtigten. (Quelle: bpb/berlin.de)

Warum Klimaneutralität bis 2030 sinnvoll ist

Dieses Ziel unterstützen die zahlreichen Organisationen und Firmen, die sich in der Initiative „Klimaneustart Berlin“ versammelt haben. Sie alle eint der Wille und die Überzeugung, dass Berlin zum Vorbild in Sachen Klimaschutz werden muss – Auch wenn Berlin nicht im Alleingang die Welt retten kann, wie Stefan Zimmer einräumt. Das wolle die Initiative aber auch gar nicht: „Wir denken, es ist ein globales Problem, was lokal gelöst werden muss. In Städten auf der ganzen Welt gibt es ähnliche Initiativen und wir können jetzt nicht auf ein globales Abkommen warten. Das haben wir über die IPCC-Konferenzen jahrzehntelang probiert.“

Außerdem, so Zimmer, sei Klimaschutz am Ende wirtschaftlich sinnvoll. Investitionen in Gebäudedämmung oder Energieproduktion durch Solarzellen würden sich bereits nach fünf bis sechs Jahren rechnen: „Ab dann spart man nur nicht nur bares Geld, sondern kann sogar Geld verdienen“. Das gelte nicht nur auf individueller Ebene. Stefan Zimmer ist sich sicher, dass ein klimaneutrales Berlin Zukunftstechnologien und klimafreundliche Industrien anlockt, die unsere Wirtschaftsgrundlage in Zukunft sichern. „Deshalb sprechen wir nicht von Kosten für den Klimaschutz, sondern von Investitionen."

Stefan Zimmer Pressesprecher
Stefan Zimmer, Pressesprecher der Kampagne

Klimaschutz ist Teamarbeit: Das sagen die Partner von „Berlin 2030 Klimaneutral“

Aber nicht nur die Sprecher:innen der Initiative kommen bei der Pressekonferenz zu Wort. Ihre Partner aus der Wirtschaft leisten tatkräftige und wortgewandte Unterstützung: Zum Beispiel Hans Josef Fell, Vorsitzender der Energy Watch Group. Er argumentiert, die Transformation zu grünen Produktionsweisen wäre nicht die erste Revolution, welche Industrie und Wirtschaft in kürzester Zeit meistern. Bremsenden Politiker:innen und anderen Kritiker:innen der Initiative hält Fell entgegen, dass Klimaneutralität bis 2030 mit genug Willen definitiv möglich sei. Lu Yen Roloff von Ansvar 2030 stellt die Situation ähnlich dar. Sie vergleicht die aktuelle Situation mit einer WG-Küche - Alle stellen etwas ab und niemand fühlt sich zuständig. Sie resümiert: „Lösungen sind da, wir haben ein Umseztungsproblem."

Wenn es also genug Wissen, Optionen und Geld gibt: Wo muss dann was getan werden? Ranghild Sörensen von changing cities erwähnt die wichtige Rolle von Verkehr und Mobilität. Es brauche beispielsweise mehr Radwege und einen besseren ÖPNV als Alternative zum Auto. Hier gäbe es besonderen Bedarf und große Einsparpotentiale. Außerdem spricht sie sich für ein Umdenken bei der Verteilung des öffentlichen Raumes aus. Als bewährten Ansatz bringt Sörensen verkehrsberuhigten Kiezblocks ins Spiel.

Neben dem allzeit präsenten Verkehrsthema spricht Arnold Drever vom Institut für preisoptimierte energetische Gebäudesanierung einen weiteren wichtigen Punkt an, der von vielen unterschätzt wird: „Worst performance buildings“, deren Emissionen für Heizung & Warmwasser durch einfache Maßnahmen gesenkt werden könnten. Material stehe genügend zur Verfügung und die Montage könnten auch Laien nach kurzer Fortbildung übernehmen. Auf der Haben-Seite stünden massive finanzielle Einsparungen und eine deutliche Senkung der Emissionen, so Drever. Außerdem werde so die Schimmelbildung in Wohnungen reduziert.

Dämmstoffe Pressekonferenz
Kein Foto der Polizei nach Festnahme eines Drogenrings, sondern verschiedene Dämmstoffe

Rückenwind für Klimaneutralität vom Umweltbundesamt

Am Ende der Pressekonferenz wurden viele Stimmen und Argumente gehört. Und trotz der aktuell eher hoffnungslosen Klimapolitik herrschte Zuversicht bei den Panelgästen. Das Ziel der Klimaneutralität ist anspruchsvoll, aber erreichbar. Wissen, Material und Geld sind vorhanden, jetzt hängt alles von der Entscheidung von Berlin am 26.03.2023 ab.

Alle Unentschlossenen können sich auf der Website von "Berlin 2030 Klimaneutral" einige Argumente durchlesen. Auch diese Studie des Umweltbundesamtes zu Risiken und Kosten des Klimawandels unterstreicht die Argumentation der Initiative. Sie beziffert die Folgekosten der Klima-Krise in Deutschland mit bis zu 900 Milliarden Euro. Dabei wurden nicht nur direkte Schäden, sondern auch Auswirkungen wie etwa gestörte Lieferketten oder Preisanstiege berücksichtigt. Aber auch hier gibt es einen Lichtblick: rechtzeitige, mutige und weiterreichende Investitionen könnten die monetären Kosten des Klimawandels um 60-100% reduzieren.

Eindrücke von der Pressekonferenz findet ihr außerdem in unserem Insta-Reel zur Veranstaltung.

Text & Titelbild: Noé Leeker und Aurelia Poensgen

Bilder: Initiative Klimaneustart Berlin

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