Telling Our Stories - Schwarze deutsche Geschichte

Seit den 1990ern steht auch der Februar in Deutschland für den Black History Month. Einen Monat lang soll es um Schwarze Geschichte gehen und Schwarze Akteur:innen stehen dabei im Fokus. Bei der digitalen Ausstellung "Telling Our Stories" geht es um Schwarze deutsche Geschichte. ALEX-Autor EJ Summers findet, dass es ein guter Einstieg ist, um sich mit der Thematik zu beschäftigen. Jeanne Nzakizabandi hat das Projekt gestaltet und spricht mit EJ unter anderem über die Gründe, warum Schwarze Geschichte in Deutschland immernoch marginalisiert wird.

Info: Schwarz-unterstrichene Begriffe sind Teil des Glossars (siehe Textende)

Der Februar ist fast vorbei und damit auch der Black History Month. Grund genug euch die digitale Ausstellung „Telling Our Stories“ vorzustellen. Dazu gibt es einen sieben-teiligen Podcast, der auch Leute abholt, die keine Lust auf Lesen haben.

Als afrodiasporische Person liegt mir der Black History Month am Herzen und ist meiner Meinung nach jedes Jahr wieder ein guter Zeitpunkt, sich mit Schwarzer Geschichte zu beschäftigen. „Telling Our Stories“ macht genau das. Das Thema läd auch ein, sich über den Februar hinaus Gedanken zu machen.

Jeanne Nzakizabandi arbeitet als Projektleiterin für die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und war für die konkrete Konzeptionierung von „Telling Our Stories“ zuständig. Zusätzlich ist sie freie Kuratorin und studiert Cuatorial Studies als Master-Studiengang in Frankfurt am Main.

Ich sprach mit Jeanne über die Ausstellung und den dazugehörigen Podcast. Sie erzählte über die Entstehung von „Telling Our Stories“ und wagte einen Versuch zu erklären, warum Schwarze deutsche Geschichte für viele nur Nebensache ist.

Jeanne Nzakizabandi

EJ: Über Schwarze deutsche Geschichte höre ich in meinem Alltag nicht viel. Du sagst auch in deinem Podcast, dass Schwarze deutsche Geschichte marginalisiert wird. Sie wird also zu einer Nebensache in die Bedeutungslosigkeit gedrängt. Wenn du drei Wünsche hättest, wie würdest du das ändern?

Jeanne: Viele Aktivist:innen investieren zurzeit viel Energie in die Umbenennung von Straßennamen, die ehemalige Kolonialherren würdigen. Ich würde mir wünschen, dass dieser Prozess vereinfacht wird und die Namen mit widerständigen Personen aus der afrikanischen oder afrodiasporischen Community ersetzt werden.

Mit meinem zweiten Wunsch würde ich den aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung ändern wollen, da ist nämlich das deutsche koloniale Erbe auch ein Thema. Es geht basically darum, dass die Bundesregierung sich in Zukunft mehr dem Thema Restitutionen widmen möchte. Sie möchten perspektivisch einen Lern- oder Gedenkort für deutschen Kolonialismus erschaffen. Ich würde mir wünschen, wenn sowas schon im Koalitionsvertrag steht, sollte auch dabeistehen mit welchen Ressourcen dieses Ziel ausgestattet wird und dass man dieser Verpflichtung wirklich nachgeht.

Als letztes würde ich mir wünschen, dass es ein größeres Verständnis für Black-People-Only-Events gibt. Ein Safer-Space bedeutet einen Raum zu schaffen, in dem die Möglichkeit von Verletzungen und Formen von Ismen minimiert wird. Als Schwarze Person hast du ständig das Gefühl eine Minderheit zu sein, was auch ein Fakt ist. Es ist unglaublich angenehm, wenn du das mal für ein paar Stunden nicht hast. Natürlich können auch innerhalb dieser Community Aggressionen oder Reibungen entstehen, aber ich muss mich nicht so sehr vor Anti-Schwarzem Rassismus hüten.

Der Black History Month

Der Black History Month hat seinen Ursprung in den USA und ist 1926 als Black-History-Week gestartet. Carter G. Woodson, ein afroamerikanischer Historiker, rief die Aktionswoche ins Leben. [1] Ziel war und ist es die Marginalisierung Schwarzer Geschichte sichtbar zu machen und Afroamerikaner:innen in den Mittelpunkt zu stellen. [2] Schwarze Geschichte sollte gefeiert werden und dazu gehörte es auch auf Widerstandskämpfe hinzuweisen und sie aus möglichst vielen Perspektiven zu erzählen. [3]

Seit den 1990er Jahren wird der Black History Month auch in Deutschland gefeiert. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland trug maßgeblich dazu bei und führte ihn das erste Mal ins öffentliche Leben ein. [4]

Was löst der Black History Month in dir aus?

Ich verbinde mit dem Black History Month viel Community. In meiner Kindheit hatte ich nicht viele Schwarze Freunde, das hat sich erst in meinem Studium geändert. Da bin ich das erste Mal zu Black History Month Events in Mainz gegangen und das hat mich so gepackt, dass ich da auch involviert sein wollte. Natürlich bringt auch innerhalb der Community jede:r seine Differenzen mit aber wir versuchen, unterm Strich, alle solidarisch zueinander zu sein.

Wie kam es zu dem Projekt „Telling Our Stories“?

Die Idee kam von der Geschäftsführung und dem Vorstand der ISD. Es sollten Geschichten erzählt werden. „Homestory Deutschland“ war eine physische Ausstellung und ist so etwas wie der Vorgänger von „Telling Our Stories.“ Es ist die aktualisierte Version, mit einem gegenwärtigen Blick erzählt.
Ich wurde dann für das Projekt angestellt und habe das Konzept konkretisiert.
Geschichtsschreibungen, und das gilt nicht nur für Schwarze deutsche Geschichtsschreibungen, sind nach wie vor noch super unfeministisch. Weibliche Akteur:innen gehen ein bisschen unter, beziehungsweise deren Widerstand wird nicht als Widerstand erkannt. Das Spotlight liegt auf den großen Freiheitskämpfern, die nochmal eine andere Wertschätzung erfahren haben. Der Versuch das auszukorrigieren war eine Schwierigkeit.

Im Nachhinein würde ich das Konzept auch etwas anders machen. Der lineare Aufbau simuliert eine logische Aufeinanderfolge von Ereignissen. Man scrollt sich von oben nach unten durch die Ausstellung. Geschichte funktioniert so aber nicht. Wenn ich nochmal von Vorne anfangen würde, würde ich versuchen etwas Bewegung in das Konzept zu bringen.

Die digitale Ausstellung hat sieben Kapitel und der dazugehörige Podcast ebenso sieben Folgen. In den Kapiteln sprichst du mit Gäst:innen über Schwarze Lebensreälitäten in den verschiedenen Epochen Deutschlands. Angefangen im Deutschen Kolonialismus, endet die Serie mit jüngeren Schwarz-feministischen Bewegungen der 80er Jahre. Im Gespräch mit Sandra Karangwa sagst du, dass es nicht die eine Schwarze deutsche Geschichte gibt. Was meinst du damit?

Es gibt einen Unterschied zwischen einem kollektiven und einem biografischen deutschen Erinnern. Das hat Sandra in unserem Gespräch gesagt und dem stimme ich voll zu. Sie kommt zum Beispiel, genau wie ich, aus Ruanda. Die Gründe, warum wir in Deutschland sind, haben irgendetwas mit Kolonialismus zu tun, aber sie passen nicht so leicht ins Narrativ „Deutscher Kolonialismus.“

Spaltung unter dem eigenen Volk

Ruanda war von 1884 bis 1916 deutsche Kolonie. [5] Deutsche Kolonialisten nutzten die bestehenden sozialen Gefüge und interpretierten die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen rassistisch: „Die Tutsi mit oft hellerer Haut und größerer Statur seien aus Äthiopien eingewandert und den Europäer:innen als "Rasse" näher. Die Hutu dagegen seien kleiner, kräftiger gebaut und aus Zentralafrika stammend.“ [6] Unter deutscher Kolonialherrschaft wurden soziale und ethnische Gruppen in Ruanda zueinander abgegrenzt. Einige (Tutsi) wurden von den Besatzern bevorzugt - andere benachteiligt (Hutu). Diese Spaltung wurde unter belgischer Kontrolle noch weiter verstärkt.

Wie schon Anfangs erwähnt, erzählst du in Kapitel Eins der Ausstellung, dass Schwarze deutsche Geschichte bis heute marginalisiert wird. Was ist deiner Meinung nach der Grund, dass das Thema noch nicht in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist?

Das ist schwierig zusammenzufassen, aber wenn man es versucht, dann damit, dass sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft als Weiß sieht. Diese Überzeugung davon, dass „die Deutschen“ alle Weiß sind, ist meiner Meinung nach ein Grund dafür. So ein Denken wird auch immer wieder aktualisiert. Gutes Beispiel ist die Berichterstattung Silvester 2022 in Berlin. Dort war es sehr wichtig klarzumachen, dass die Randalierer nicht Weiß waren. Und dieses Narrativ wiederholt sich immer wieder.

Deutsch-Sein bedeutet Weiß-Sein?

Laut dem statistischen Bundesamt hatten 2021 über 22 Millionen Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund, wovon knapp 40 Prozent der Herkunftsländer außerhalb der EU liegen. Knapp 1,1 Millionen Menschen haben Wurzeln in Afrika. [7]

Wie unterscheidet sich die Erfahrung von „Telling Our Stories“, wenn ich sie als Weiß-gelesene Person anschaue, beziehungsweise anhöre, oder als Schwarze/afrodiasporische Person?

Kann ich dir nicht so richtig beantworten, weil ich keine Weiße Person bin. Wir als ISD haben uns das Ziel gesetzt Schwarze Menschen, beziehungsweise afrodiasporische Menschen, zu adressieren. Auf die Art „Von uns, für uns.“ Es kann bestimmt sein, dass manche Menschen von unserer Zielgruppe irritiert sind: Das ist nämlich vorrangig unsere Community. Das geht aber auch wieder auf den Anfang unseres Gesprächs zurück. Es wird nie gesagt: Weiße Menschen, ihr seid nicht willkommen. Es ist ein Transparentmachen, welche Perspektiven gerade im Fokus stehen.

Was sollen Menschen vom Podcast, beziehungsweise von der Ausstellung, lernen?

Das ist schwierig in einem Satz zu sagen. Man kann aus jeder Folge etwas anderes lernen. Insgesamt habe ich mitgenommen, dass es nicht die eine Form von Widerstand gibt. Widerstand kann sehr, sehr facettenreich sein. Außerdem wird die Diversität innerhalb der afrodiasporischen Community in Deutschland sichtbar. Das zeigt sich an den Gründen, weshalb sie nach Deutschland gekommen sind, mit welchen Ressourcen sie ausgestattet sind und welche Begrifflichkeiten sie für sich selbst wählen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Danke dir auch!

Quelle: Telling Our Stories

Ich finde „Telling Our Stories“ ist ein guter Einstieg, um sich mit Schwarzer deutscher Geschichte zu beschäftigen. Es gibt einen guten Überblick über die Epochen und regt zum Recherchieren an. Jeanne sagte bereits, dass Geschichte nicht linear ist. Ein Ereignis ist also nicht immer eine logische Aufeinanderfolge von Ereignissen. Trotzdem gibt es spannende und auch mir bisher unbekannte Einblicke in die verschiedenen Lebensrealitäten von Schwarzen Menschen, zu den verschiedenen Zeiten in Deutschland.

Die Zielgruppe der Ausstellung und des Podcasts, sind zwar Schwarze/afrodiasporische Menschen - das ist aber keine Ausladung an Weiße Personen. Die Geschichten Schwarzer Menschen und deren Perspektiven sind hier vorrangig, weshalb ich es gerade deshalb auch Menschen empfehlen möchte, die es nicht direkt betrifft. Denn vielleicht ergeben sich dadurch neue Blickwinkel, die bereichernd sein können.

Glossar

  • Diaspora: Unter "Diaspora" versteht man eine ethnische und/oder religiöse Minderheit. Es handelt sich um Bevölkerungsgruppen mit meist über Generationen aufrechterhaltenen Herkunftslandbezügen, deren Selbstverständnis von einer mitunter traumatischen Wanderungsgeschichte geprägt ist. Der Begriff „afrodiasporisch“ steht also für Menschen, die afrikanische Wurzeln haben aber nicht dort leben. [8]
  • Restitution: Wiedergutmachung/Schadensersatz für einen Schaden, der einem Staat von einem anderen zugefügt wurde. [9]
  • Ismen: Klassismus, Ableismus, Sexismus, Rassismus, Rechtspopulismus, Antisemitismus, etc. sind offensichtliche und oft auch nicht offensichtliche im Alltag erlebbare Ausgrenzungsformen. Sie alle verbindet, dass hier Menschen anhand einer ihnen zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit eine Ungleichbehandlung widerfährt. [10]
  • Schwarz: Schwarze Menschen ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. "Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle' Eigenschaft', die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen 'ethnischen Gruppe' zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismus Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.“ [11]
  • Weiß/Weiß-Sein: bezeichnet ebenso wie "Schwarzsein" keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weiß-Sein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das Weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft. [12]

Interview & Text: EJ Summers, Bilder: Telling Our Stories

Zurück

Empfohlen