Die Christmas Avenue bietet als queerer Weihnachtsmarkt in erster Linie einen besonderen und sicheren Ort für die LGBTQIA+-Community und verleiht ihr mehr Sichtbarkeit (und Hörbarkeit) während der Vorweihnachtszeit. Hinter dem Glitzer und der Feierstimmung steckt ein politischer Hintergrund.
Freitagabend im Regenbogenkiez Schöneberg. Schneeregen und eiskalter Wind schlägt uns entgegen. Begrüßt von zwei Security Beamten betreten wir das eingezäunte Gelände der Christmas Avenue unterhalb des U-Bahn Bogens am Nollendorfplatz. Das Einheitsgrau des Berliner Winters weicht buntem Glitzer und einer gemütlichen Atmosphäre. Beschmückte Stände links und rechts bilden schimmernd den Weg zur weihnachtlichen Showbühne.
Wir sind verabredet mit Stefan Kuschner (alias Marie Mondieu), die künstlerische Leitung der Christmas Avenue. Kuschner ist seit 2019 verantwortlich für die Inhalte, Gäste, Künstler:innen und Bühnenshows. Als Marie Mondieu moderiert er fast jeden Abend die Bühnenshow. Wir Treffen Marie im Backstage-Bereich und sprechen mit ihr in einer ebenso farbig gestalteten Glitzerhütte. Es ist muckelig warm und die Hütte ist bis unter das Dach gefüllt mit verschiedenen Kostümen, Accessoires und Make-Up-Utensilien. Marie Mondieu begrüßt uns in königlichem, üppigem Gewand, kurz vor ihrem Auftritt.
Norman Shelest und Marie Mondieu (Stefan Kuschner)
Die Christmas Avenue bietet als queerer Weihnachtsmarkt in erster Linie einen besonderen und sicheren Ort für die LGBTQIA+-Community und verleiht ihr mehr Sichtbarkeit (und Hörbarkeit) während der Vorweihnachtszeit. Jeden Abend bietet die Christmas Avenue ein vielseitiges Bühnenprogramm, meist moderiert von Marie Mondieu. Dieses Jahr bekommt Marie Unterstützung von Norman Shelest. Er ist ukrainischer Singer/Songwriter und Aktivist.
Eine große Meute gut gelaunter und leicht angetüdelte Besucher:innen sammelt sich schon erwartungsvoll vor der Bühne, als Marie und Norman ihr Duett aufführen. Sie bieten eine Mischung aus Gesang, Spaß und weihnachtlicher Unterhaltung. Auch eine kleine Verkupplungsshow mit Preisen sorgt für Unterhaltung. DJ Anna Klatsche legt nach der halbstündigen Show Electro-Pop auf und bringt den Weihnachtsmarkt zum Beben.
Der Standort der Christmas Avenue am Nollendorfplatz ist nicht zufällig gewählt. Seit über 100 Jahren bildet der im Volksmund „Nolle“ genannte Platz den Eingang und Mittelpunkt des international bekannten Berliner Regenbogenkiez in Schöneberg. Rund um Motzstraße, Nollendorfstraße und Eisenacher Straße liegt das Zentrum der Berliner Homosexuellenszene mit LGBTQI-freundlichen Kneipen, Boutiquen, Clubs und Hotels.
Norman Shelest auf der Christmas Avenue-Bühne
Auf den ersten Blick strahlt die Christmas Avenue vor allem Feierstimmung aus. Doch hinter der glitzernden Fassade verbirgt sich ein politischer Hintergrund. Beginnend mit den 10-tägigen LGBTQIA Winterdays, die bereits Mitte November starteten, setzt die Christmas Avenue einen politischen Schwerpunkt auf die Arbeit der in Berlin ansässigen Vereine und Organisationen, die sich für die queere Community einsetzen. Mit dabei sind der Lesben und Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V., die globale Bewegung all out und die Berliner Gay Church.
Vor Ort bei der Christmas Avenue waren auch Bürgermeisterin Franziska Giffey, Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates, sowie der wohl bekannteste Bundestagsabgeordnete der SPD, Kevin Kühnert. „Wir haben immer auch einen politischen Bezug, weil es ja doch Dinge zu tun gibt und das möchte die Christmas Avenue auch zeigen.“, so Kuschner.
Kuschner selbst nahm in diesem Jahr 14 ukrainische Geflüchtete bei sich auf, die teilweise bei den Vorbereitungen der Christmas Avenue mitwirken oder, wie Norman Shelest, auf der Bühne präsent sind. „Der Schmerz steht immer mit uns auf der Bühne“ berichtet uns Kuschner.
Die Zäune der Christmas Avenue sind nicht ohne Grund da. So friedlich das Event auch ist, immer wieder kommt es zu Anfeindungen und Gewalt erzählt Stefan Kuschner: „Es wird jedes Jahr absurder. Also vor unserer Tür. Unsere Security wird jeden Abend beschimpft, beleidigt, es wird gegen unsere Zäune uriniert.“ Außerdem erzählt Kuschner von versuchten Technikdiebstählen.
Nach dem Gespräch mit Stefan Kuschner stehen wir vor der glitzernden Garderoben-Hütte und rauchen gemeinsam eine Zigarette zum Abschluss. Plötzlich zischt es laut und unter unseren Füßen blitzt ein grelles Licht auf. Jemand hat einen Feuerwerkskörper über den Zaun geworfen, der uns nur um Haaresbreite verfehlt hat. Kurzer Check, alle sind ok. Während wir ziemlich geschockt sind, macht Stefan einen Scherz. Er scheint weit weniger überrascht als wir.
Die Christmas Avenue wettergeschützt unter dem bunt beleuchteten U-Bahn-Bogen des Nollendorfplatzes
Nach diesem Erlebnis schlendern wir mit gemischten Gefühlen über den Markt. Die Menschen sind ausgelassen und fröhlich, Bässe dröhnen aus den Boxen und der Glühwein heizt die Stimmung zusätzlich auf. All das steht in starkem Kontrast zu den Anfeindungen, die wir eben noch mitbekommen haben. Als wir die Christmas Avenue verlassen, bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Auf der einen Seite die Erinnerung an diesen wundervollen Ort und den herzlichen Empfang durch Stefan und Norman. Auf der anderen Seite die Frage, warum Menschen nicht einfach so sein können, wie sie sind, ohne Anfeindungen fürchten zu müssen. Wie Stefan sagt, es gibt noch viel zu tun.
Text und Bilder: Cora Schäfer und Noé Leeker
Berlin demonstriert gegen Krieg in Europa. Unser Kollege Luis Schneiderhan war bei einer Soli-Demo für die Ukraine. Ein Kommentar.
Im Spätsommer 2021 hat die Zukunft am Ostkreuz ihre Kündigung erhalten. Betreiber:innen, Engagierte und die Nachbarschaft kämpfen seitdem um die kulturelle Oase zwischen Bahngleisen und Plattenbauten. Im Januar 2023 gibt es nun endlich gute Neuigkeiten.
Bunte Wände und schwarze Kritzeleien. Graffiti prägt das Stadtbild von Berlin und löst in der Gesellschaft seit Jahren eine Debatte aus.
Mit „Abbruch Abbruch“ hat die Antilopen Gang letzte Woche ihr neues Album veröffentlicht. Statt bei einer einfachen Party, hat das Rap-Trio ihren vierten Longplayer mit einem Symposium plus Konzert in der Kantine am Berghain vorgestellt. Wir waren dabei und haben Panik Panzer, Koljah und Danger Dan einen Tag später zum Interview getroffen.