Berliner Awareness-Arbeit beim Feiern als empowernde Selbstermächtigung

Im Club frei und selbstbestimmt tanzen und raven in der Menge, sich treiben lassen in der Musik, umwoben von Nebel und Sorglosigkeit – das wünscht sich wahrscheinlich jeder feiernde Mensch. Doch leider ist das nicht für alle Clubbesuchenden möglich. Awareness- Crews versuchen Veranstaltungsräume sicherer für alle zu gestalten.

Wie wird Awareness-Arbeit in Berlin umgesetzt? Warum ist es notwendig ein gesondertes Awareness-Team bei Veranstaltungen einzustellen? Und inwiefern ist Awareness politisch und selbstermächtigend?

Für einige Menschen ist feiern und tanzen gehen ein wichtiger Bestandteil ihrer Freizeitgestaltung. Es bedeutet für viele Autonomie bis hin zur Selbstfindung der eigenen Identität. Dennoch bleiben Fälle von Sexismus, Rassismus, mehrdimensionaler Diskriminierung sowie allgemein persönlichen Grenzüberschreitungen auf den meisten Veranstaltungen nicht aus. Vor allem an Orten, an denen Drogen konsumiert werden und Feierwütige in Rauschzuständen ihre Hemmungen ablegen.

Awareness-Arbeit versucht ein achtsames Miteinander zu fördern, um Clubabende, Festivals und sonstige Events mit vielen Menschen auf engem Raum, möglichst genießbar und friedlich für alle Teilnehmenden zu gestalten. Das kann nur passieren, wenn Veranstaltende und Besucher:innen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und eine Haltung annehmen, die diskriminierendem Verhalten entgegenwirkt.

Was ist Awareness?

Awareness bedeutet übersetzt Achtsamkeit (to be aware = sich bewusst sein), der Begriff schließt eine Sensibilität für die eigenen Bedürfnisse und die des Gegenübers mit ein und beschäftigt sich mit einem respektvollen Miteinander. Ziel von Awareness ist laut der Leipziger „Initiative Awareness“ vorrangig die Wahrung individueller Grenzen und das Abbauen von Strukturen der Ausgrenzung und Ungleichheit. Außerdem soll konsensbasiertes (= einstimmiges) Handeln gefördert werden.

Die Verbreitung von Awareness in Deutschland

Awareness-Arbeit entstammt laut der „Initiative Awareness“ ursprünglich u.a. aus der zweiten Frauenbewegung der 1970er Jahr. Bereits damals setzten Aktivist:innen die von Männern ausgeübte Gewalt gegenüber weiblich gelesenen Personen und Menschen aus der LGBTQI+-Community in einen patriarchalen, strukturellen und gesellschaftlichen Kontext.

Neben feministischen Kreisen haben Awareness-Konzepte auch ihren Ursprung in rassismuskritischer Feminismus- und Bildungsarbeit aus den USA. Es sollte Sicherheit gewährleistet werden für gesellschaftlich marginalisierte Communities.

Awareness ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten wesentlich präsenter geworden. Immer mehr Veranstaltende sind für das Thema sensibilisiert, Handreichungen und Awareness-Konzepte für Veranstaltungen häufen sich bundesländerübergreifend.

Eine aktuelle Übersichtskarte der „Initiative Awareness“ zeigt die gemeldete Verortung von Awareness-Gruppen, Bildungsangeboten, Veranstaltungsstätten und ihren Netzwerken in Deutschland auf. Demnach fokussieren und häufen sich bislang vor allen Dingen Awareness-Angebote rund um Berlin und Leipzig.

"b-aware" - die Anlaufstelle Nummer eins in Berlin

Die Anlaufstelle Nummer eins in Berlin ist das Awareness-Kollektiv „b-aware“. “b-aware“ bietet in erster Linie Informationen und regelmäßige sowohl interne als auch externe Grundlagenschulungen an rund um Awareness und der Umsetzung von Awareness-Arbeit. Die Gruppe kooperiert viel mit Veranstaltenden der Berliner Kulturszene und stellt eigene Awareness-Teams auf Anfrage für Events und Parties zusammen.

Ein harter Kern wird durch 100 bis 150 Ehrenamtliche, sogenannte „Schichtis“ ergänzt. Diese werden geschult und auf Veranstaltungen eingesetzt.

 

„Räume halten für Menschen, die Diskriminierung erfahren“

Lee ist eine der momentan zehn Personen in der Organisationsstruktur von „b-aware“ und möchte nicht mit vollständigem Namen genannt werden. Hauptberuflich hat Lee eine Lehrtätigkeit inne, bei „b-aware“ liegt ihr Schwerpunkt in der Kommunikation zu Veranstaltenden, sie fungiert auch als Ansprechpartnerin vor Ort.

„Awareness ist für mich vor allem wichtig, um Räume zu halten, für Menschen, die Diskriminierung erfahren, gerade im Veranstaltungskontext wie Feiern, wo es oft sehr laut, unruhig, unübersichtlich ist und Konsum betrieben wird“, erzählt sie, nachdem sie sich einen Kaffee und ein Stück Gebäck geholt hat. „Das ist eine Herausforderung, wir können nur versuchen, für alle einen Safer Space zu errichten. Wir können aber nicht auf alle Menschen so gut aufpassen, wie wir das gerne würden“, fährt Lee fort.

Was ist ein Safer Space?

Ein Safer Space ist ein möglichst geschützter, gewaltfreier und inklusiver Ort, der besonders für marginalisierte Gruppen wichtig ist, um sich so gut es geht autonom zu entfalten und wohlzufühlen. Awareness-Arbeit versucht, Safer Spaces zu gestalten, also z.B. Veranstaltungen durch ihr Konzept sicherer zu machen und das Bewusstsein für Grenzüberschreitungen zu schärfen.

Lee berichtet, die meisten Menschen, die sich bei ihnen engagieren, machen das auf Basis der eigenen Erkenntnis : „weil sie selbst schon Situationen erfahren haben, die sie mitgenommen haben, in denen sie sich sehr unwohl gefühlt, in denen sich Menschen ihnen gegenüber übergriffig verhalten haben.“ – und dann keine Unterstützung hatten und oft kaum Möglichkeiten sich zu wehren.

Kleine Gimmicks für große Beruhigung

Die „Schichtis“ von „b-aware“ sind während eines Einsatzes gut erkennbar an ihren pinken Westen. Bei Veranstaltungen richten sie möglichst einen Raum ein, der im besten Fall privat und von außen nicht einsehbar ist. Dieser wird gemütlich gestaltet mit Sitzgelegenheiten, gedämmtem Licht, ein paar Kuscheltieren, Puzzles, Wärmflaschen, Getränken und Obst. Wie häufig auf sie zugegangen wird, hängt davon ab wie präsent das Awareness-Team auf der Veranstaltung dargestellt wird.

„Ein proaktives Auftreten machen wir gar nicht, wir versuchen durchzutanzen und Obst zu verteilen, eine gute Stimmung zu verbreiten.“ – Lee von b-aware

Betroffenenzentrierter Awareness-Ansatz

Awareness-Ansätze sind betroffenenzentriert. Das bedeutet die Betroffenen von grenzüberschreitendem Verhalten  bestimmen, was für sie eine grenzüberschreitende Situation gewesen ist.

Wenn eine Person auf das „b-aware“-Team zukommt, ist also der erste Schritt zuzuhören und ihr das Gefühl zu geben, ihre Sichtweise ernst zu nehmen. Dann wird geschaut – was braucht die Person gerade, um sich besser zu fühlen. Im besten Fall wird dadurch ein Gefühl der Ohnmacht durchbrochen, so dass die Person wieder ins eigene Handeln kommt.

Awareness im Mensch Meier

Der linksalternative Club „Mensch Meier“ im Prenzlauer Berg hat seit fünf Jahren ein eigenes Awareness-Team, bestehend aus 8-12 Leuten. Seit drei Jahren besteht es nur noch aus FLINTA*-Personen (FLINTA ist eine Abkürzung und steht für Frauen, Lesben, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Menschen).

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen

Erst letzte Woche, am 30. März wurde die bundesweite polizeiliche Kriminalstatistik 2022 vorgestellt und veröffentlicht, die besagt, dass im letzten Jahr 92,4 % der Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung weiblich* sind. In Berlin gab es im Jahre 2021 in der Deliktsgruppe „Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung“ (?) 579 erfasste Fälle. 97,3 % der Tatverdächtigen war männlich, 17,8 % von ihnen Stand unter Alkoholeinfluss. In der Deliktsgruppe Sexuelle Belästigung waren es im Jahr 2021 764 erfasste Fälle. 96,2 % der Tatverdächtigen war männlich und 20,1 % von ihnen Stand unter Alkoholeinfluss.

*Die Zahlen der Polizei werden nur binär generiert.

Lisa (möchte nicht mit vollem Namen genannt werden) ist Krankenpflegerin in einer Notaufnahme und nebenbei im Awareness-Team des „Mensch Meiers“ tätig. Jede Veranstaltung des Mensch Meier wird mit 1 bis 2 Ansprechpartner:innen betreut. Das kann laut Lisa bei im Schnitt 800 bis 900 Clubgäst:innen ziemlich herausfordernd sein: „Es gibt Situationen da könnten wir auch zu dritt oder viert sein.“ An strategisch günstigen Punkten im Club sind Schilder verteilt, die über die Erreichbarkeit des Awareness-Teams informieren.

Anders als die „b-aware“-Teams hält sich das Awareness-Team im „Mensch Meier“ bedeckt und versucht sich bis auf eine Funke an der Hüfte, unauffällig und natürlich ins Feiergeschehen einzubringen. Das Vorgehen bei Fällen ist hier ebenfalls betroffenenzentriert. Hintergrund ist, auffällige Verhaltensweisen auf der Veranstaltung aus einer diskreten Perspektive beobachten und einschätzen zu können ohne dabei als „Aufpasser“ aufzufallen.

Das "Fusion Festival" - ein übergroßes Festival mit kleinem Awareness-Team

 

Das „Fusion Festival“ ist ein fünftägiges Festival, wird veranstaltetet von dem gemeinnützigen Verein „Kulturkosmos“ und setzt schon seit Jahren ein Awareness-Konzept um. Doch wie bringt man ein Festival mit 70.000 Leuten unter Kontrolle? „Nicht den Anspruch zu haben es unter Kontrolle zu bringen“, sagt Amelie (Name v. R. geändert). Sie war die letzten fünf Jahre im Awareness-Team des „Fusion Festivals“ engagiert. Letztes Jahr waren sie nur 16 bis 20 Leute im Team. Amelie vergleicht das Team mit einer psychosozialen Kriseninterventionsstelle in einer Kleinstadt.

Auf dem gesamten Festivalgelände seien Informationen verteilt zu den Erreichbarkeiten und mit einer Telefonnummer. Generell ist bei einer so großen Veranstaltung die Erreichbarkeit wichtig. Deshalb könne man das Team auch an Bar, Bühne und Security erreichen. Vor allem seien sie für sexualisierte Gewalt zuständig, wobei sich das Team eine größere Aufstellung wünschen würde, damit es z. B. ein Team gibt, welches sich explizit rassistischer Gewalt zuwendet, aber so müssen aktuell alle Fälle verschiedenster psychosozialer Krisenzustände übernommen werden.

Trotzdem fühlt sich Amelie gut gewappnet für die Awareness-Arbeit auf solch einem überwältigendem Festival, auch wenn der Job sehr anspruchsvoll sei. Sie arbeitet hauptberuflich als Sozialarbeiterin in einem Frauenzentrum und bezeichnet sich als sehr gut ausgebildet.

Awareness-Arbeit als politischer Aktivismus

Wie so oft bei aktivistischer Arbeit, die hauptsächlich ehrenamtlich getätigt wird, ist Awareness-Arbeit ein Stück weit aufopfernd. Der ständige Kampf um Anerkennung, besser aufgestellt zu werden, um Sichtbarkeit und noch dazu die schlechte Bezahlung – wenn überhaupt.

Awareness-Arbeit wird hauptsächlich ehrenamtlich getätigt, es hat bei Veranstaltenden eine zu geringe Priorität, um wirtschaftliche Mittel zu lockern. Oder fehlt vornherein die Bereitschaft sich überhaupt damit auseinanderzusetzen. Schließlich fragt sich, warum Awareness-Konzepte nicht verbreiteter sind und vorrangig auf linken Veranstaltungen umgesetzt werden?

Awareness-Arbeit ist mehr als Orte wohliger gestalten und ein wertschätzendes Miteinander zu fördern. Es ist auch ein Kampf gegen strukturelle Missstände:

„Für mich ist es eine praktische feministische Arbeit zu sagen, als feministisches Kollektiv macht man sich handlungsmächtig und stellt sich gegen strukturelle patriarchale Gewalt.“ – Amelie, vom Awareness-Team des „Fusion Festivals“.

Und ist es nicht schon empowernd zu wissen, dass es auf einer Veranstaltung Anlaufstellen gibt, falls ich in eine unangenehme Situation komme? Nicht allein gelassen zu werden, sondern jederzeit zu wissen, dass es Hilfe und Unterstützung gibt?

Zum Abschluss des Gesprächs betont Amelie nochmal das Schöne an der Awareness-Arbeit: „Ich kann nur jede:n ermuntern diese Arbeit zu machen. Als Kollektiv gemeinsam handlungsmächtig zu werden oder mit Betroffenen das Gefühl zu bekommen – hey wir können uns stark machen, wir müssen uns nicht kleinmachen. – Es ist eine ganz tolle, selbstermächtigende Arbeit“.

Text: Cora Schäfer

Redaktion: Fritzi Flachmann

Symbolbilder: Jaqueline Frank

 

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